Ein ungleiches Duo auf einem wilden Ritt durch die Weiten Englands

von | 07.06.2021 | #BKtastisch, Buchpranger, Kinder- und Jugendbücher, Specials

Vielen wird der Autor Jonathan Stroud durch seine Reihen über den Dschinn Bartimäus oder die Geisterjäger aus Lockwood & Co. ein Begriff sein. Nun widmet er sich einer neuen Geschichte. In seinem jüngsten Werk begleiten wir die Gesetzlose Scarlett McCain, die sich zusammen mit Albert Browne durch die wilden Weiten Englands schlägt. Richtig gelesen – England, nicht Amerika. Klingt trotzdem nach klassischer Wild West Story? Ist es aber ganz und gar nicht. Bücherstädterin Kathrin hat sich den ersten Band näher angeschaut und sich überraschen lassen.

Die siebzehnjährige Scarlett kämpft sich als Outlaw durchs Leben. Ihr Brot verdient sie sich mit Banküberfällen in ganz England. Sie zieht von einer Verbliebenen Stadt zur nächsten, denn lange kann sie sich aufgrund ihres „Berufs“ nirgendwo aufhalten. Doch davon lässt sich die Meisterschützin nicht unterkriegen. Auf der Flucht durch die Wildnis Englands findet sie einen zerstörten Bus und den einzigen Überlebenden eines schrecklichen Unglücks: Albert Browne. Sie entschließt sich, dem etwa gleichaltrigen Jungen zu helfen, wider besseres Wissen. Schnell merkt sie jedoch, dass das keine gute Idee war, denn halb England jagt Scarlett wegen ihrer Banküberfälle. Nun ist auch noch die andere Hälfte des Landes hinter Albert her.

Im Kontrast zu seinem schlaksigen, harmlosen Erscheinungsbild scheint auch Albert nicht ganz unschuldig zu sein: Er hat ganz besondere Fähigkeiten, die ihn zu einem wertvollen Fang machen. Auf ihn ist ein ordentliches Kopfgeld ausgesetzt. Eine wilde Flucht durch die gefährliche Wildnis Englands beginnt.

Viel mehr als eine klassische Wild West Story

Bis zu diesem Moment weist die Geschichte klassische Merkmale einer Wild West Story auf, doch je weiter sie voranschreitet, desto mehr Überraschungen hält sie bereit. Man stolpert über Begriffe wie „Verbliebene Städte“, „Gummistiefel“ oder „Bus“ und langsam wird klar, dass es sich bei Scarlett & Browne definitiv nicht um eine gewöhnliche Geschichte in diesem Genre handelt. Wir befinden uns nämlich nicht im England der Vergangenheit, sondern der Zukunft.

Wie schon bei Lockwood & Co. entwirft Jonathan Stroud ein alternatives England: Nicht näher benannte Katastrophen veränderten das Leben der Menschen radikal. Nur noch wenige Städte sind übrig und ziehen sich wie kleine Splitter über das Land. Zwischen ihnen herrscht die Wildnis. Riesige Wesen streifen durch die Nacht und machen Jagd auf Beute. Gezeichnete ziehen durch die Wälder und suchen Nahrung. Auch sie gehen auf Menschenjagd. Überall lauern Gefahren und niemand wagt sich aus den Städten, hinter deren Mauern es weitestgehend sicher ist.

Menschen, die in welcher Form auch immer anders sind (manchmal reicht ein Muttermal aus), werden aus den Städten verbannt und ihrem Schicksal überlassen. Für sie ist kein Platz in der Gesellschaft. Auch Albert gehört zu dieser Gruppe. Seine besonderen Fähigkeiten machen ihn einerseits sehr gefährlich und andererseits sehr wertvoll für die Leute, die ihm auf den Fersen sind. Doch stellt dieser schlaksige Junge in dem zu großen Pullover wirklich eine Gefahr dar oder wird ihm das nur eingeredet? Und warum verhält er sich so weltfremd? Kann Scarlett ihm helfen? Und können sie ihre Verfolger abschütteln?

Wie war der wilde Ritt?

Jonathan Stroud überrascht mit einem wilden Genremix und einer dystopischen Welt, die Lust auf mehr machen. Meisterhaft verstreut er kleine Details über das alternative England und spielt mit der Phantasie von Leserinnen und Lesern. Hier und da hätten es ruhig etwas mehr Informationen sein dürfen, aber auch so reichen die Happen aus, um sich einen ersten Überblick über das entworfene Szenario zu machen. Außerdem handelt es sich natürlich erst um Band 1 einer Reihe.

Strouds unverkennbarer Humor, der schon aus den vorangegangenen Reihen bekannt ist, schlägt auch hier wieder durch. Die witzigen Dialoge mit Hang zum Sarkasmus haben es in sich. Das ungleiche Duo Scarlett und Albert harmoniert wunderbar zusammen und ergänzt sich hervorragend. Komik und Spannung entstehen durch genau diese Ungleichheit: Die wilde, knallharte Scarlett mit ihrem guten Herz trifft auf den etwas naiven, weltfremden Albert.

Beide Charaktere haben ihre Ecken, Kanten und Geheimnisse. Scarlett zum Beispiel, die nicht davor zurückscheut, Banken auszurauben und Leute mit der Waffe zu bedrohen, untersagt sich selbst Kraftausdrücke. Eigens zu diesem Zweck hat sie eine Fluchkasse, in die sie jedes Mal einen Penny zahlt, sollte ihr doch einmal ein solches Wort über die Lippen kommen (das passiert häufiger und entwickelt sich zu einem unterhaltsamen Running Gag). Leserinnen und Leser dürfen sich also darauf gefasst machen, Scarlett und Albert ganz schnell ins Herz zu schließen. Es macht wirklich Spaß, die beiden zu begleiten, ihren Weg zu verfolgen und um sie zu bangen und zu hoffen.

Im Gegensatz zu den Reihen Bartimäus und Lockwood & Co. sei allerdings darauf hingewiesen, dass es hier deutlich härter zur Sache geht. Wilde Schießereien ziehen den ein oder anderen Toten nach sich, aber schließlich befinden wir uns hier in den wilden Weiten Englands in einer dystopischen Welt, die keine Gnade kennt. Scarlett & Browne wirkt erwachsener als die vorangegangenen Reihen, was nicht nur an den älteren Protagonisten liegt, denn auch die gnadenlose Welt trägt ihren Teil dazu bei.

Die Kombination aus genialen Dialogen, einem liebenswerten Duo mit interessanten Hintergrundgeschichten und einer grausamen und dystopischen Welt erzeugen eine explosive Mischung, sodass man nur so durch die Seiten fliegt.

Sollten Geschichten im Stile des Wilden Westens sonst eher nichts für euch sein, lasst euch davon nicht abschrecken, denn Scarlett & Browne ist so viel mehr als das und hält viele Überraschungen bereit, die Lust auf den zweiten Band machen! Also sattelt euer Pferd und lasst euch auf diese außergewöhnliche Reise ein. Ihr werdet es bestimmt nicht bereuen – versprochen!

Scarlett & Browne – Die Outlaws. Jonathan Stroud. Aus dem Englischen von Katharina Orgaß und Gerald Jung. Cbj. 2021.

[tds_note]Ein Beitrag zum Special #BKtastisch. Hier findet ihr alle Beiträge.[/tds_note]
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